Polymethylmethacrylat

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Strukturformel
Polymethylmethacrylat
Allgemeines
Name Polymethylmethacrylat
Andere Namen
  • PMMA
  • Poly(methyl-2-methylpropenoat)
  • Lucite
  • POLYMETHYL METHACRYLATE (INCI)[1]
CAS-Nummer 9011-14-7
Monomer Methacrylsäuremethylester
Summenformel der Wiederholeinheit C5H8O2
Molare Masse der Wiederholeinheit 100,12 g·mol−1
Art des Polymers

Thermoplast

Eigenschaften
Aggregatzustand

fest

Dichte

ca. 1,18 bis 1,19 g·cm−3[2]

Glastemperatur

ca. 105 °C[3]

Wasseraufnahme

0,3 % in trockener Luft[4]
1,2 % in feuchter Luft[5]
2 % bei Wasserlagerung[5]

Löslichkeit

unbeständig gegen polare Lösungsmittel, wie z. B. Aceton[3]

Thermischer Ausdehnungskoeffizient

70–85 10−6 K−1 bei Halbzeug unterhalb der Glastemperatur[4][6][7]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[8]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Polymethylmethacrylat (Kurzzeichen PMMA, auch Acrylglas) ist ein transparenter thermoplastischer Kunststoff.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Acrylglas wurde 1928 etwa zur selben Zeit in Deutschland, Großbritannien und Spanien entwickelt. In Deutschland war hieran der Chemiker Walter Bauer (1893–1968) beteiligt. Die ersten gegossenen Scheiben aus Acrylglas wurden im Jahre 1933 in Deutschland von Otto Röhm hergestellt und zur Marktreife gebracht. Die ersten Kontaktlinsen aus Kunststoff wurden 1940 durch Heinrich Wöhlk aus PMMA hergestellt und im Selbstversuch angewendet – bis zu diesem Zeitpunkt gab es ausschließlich Linsen aus geschliffenem Silikatglas, welche einen deutlich schlechteren Tragekomfort aufwiesen.[9] Eines der ersten Alltagsprodukte aus PMMA waren Deckel der Radio-Plattenspieler-Kombinationen Braun SK 4 von 1956.

Polymethylmethacrylat wird heute in großen Mengen für ein breites Spektrum von Anwendungen eingesetzt (siehe unten).

Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

PMMA wird routinemäßig radikalisch durch Substanz-, Emulsions-[3], oder Suspensionspolymerisation[10] hergestellt. Auf solche Weise produziertes PMMA ist ataktisch und völlig amorph. Eine anionische Polymerisation (einschließlich Methoden der lebenden Polymerisation) von PMMA ist ebenfalls möglich.

Synthetisierung durch radikalische Polymerisation

Folgende Reaktionen laufen beispielsweise mit Dibenzoylperoxid als Initiator ab:

1. Radikalbildung

Da organische Peroxide bei geringer Wärmezufuhr homolytisch zerfallen, eignen sie sich gut als Radikal-Bildner. Zunächst wird Dibenzoylperoxid gespalten, bevor sich von den entstehenden Radikalen Kohlenstoffdioxid (CO2) abtrennt:

2. Kettenstart

Nun reagiert das entstandene Radikal mit Methacrylsäuremethylester (MMA) zu einem neuen, größeren Radikal.

3. Kettenwachstum

Beim Kettenwachstum reagiert das beim Kettenstart entstandene Radikal erneut mit dem Methacrylsäuremethylester. Diese Reaktion passiert immer wieder, so dass ein immer größeres Radikal entsteht.

4. Kettenabbruch

Das Kettenwachstum kann auf verschiedene Weisen abbrechen: Zwei wachsende Ketten können aufeinandertreffen und kombinieren oder disproportionieren oder eine wachsende Kette kann mit einem Starterradikal reagieren. Hier ist die erste Möglichkeit dargestellt:

Das 10 Meter tiefe Schauaquarium Monterey Bay ist aus Acrylfenstern mit einer Dicke von bis zu 33 Zentimetern, um dem Wasserdruck standzuhalten.
Lichtenberg-Figur in einem Acrylpolymer-block

Aufbau und Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

30 Zentimeter dicke Aquariumscheibe im Ozeaneum Stralsund
Struktur von Polymethylmethacrylat

Druck, Temperaturverlauf und Dauer des Polymerisationsprozesses haben dabei Einfluss auf die mittlere Länge der entstehenden Polymerketten sowie die Vernetzung und Verschränkung der Polymerketten untereinander. Dies hat wiederum direkte Auswirkungen auf einige physikalische und chemische Eigenschaften, die je nach Produktionsverfahren leicht von den nachfolgend genannten Werten abweichen können.

PMMA transmittiert sichtbares Licht besser als Mineralglas. Bei einer Dicke von 3 mm lässt PMMA bis zu 92 % des sichtbaren Lichts durch und reflektiert etwa 4 % von jeder seiner Oberflächen aufgrund seines Brechungsindex (1,4905 bei 589,3 nm).[11] Es absorbiert Ultraviolettstrahlung bei Wellenlängen unter etwa 300 nm (ähnlich wie gewöhnliches Fensterglas). Einige Hersteller fügen PMMA Beschichtungen oder Additive hinzu, um die Absorption im Bereich von 300 bis 400 nm zu verbessern. Es gibt auch spezielle UV-durchlässige Varianten für den Einsatz in der Röntgenlithographie oder für Solarien. PMMA lässt Infrarotstrahlung von bis zu 2800 nm durch und blockiert IR von längeren Wellenlängen bis zu 25000 nm. Farbige PMMA-Sorten lassen bestimmte IR-Wellenlängen passieren, während sichtbares Licht blockiert wird (z. B. für Fernsteuerungs- oder Wärmesensoranwendungen).[12]

Es verbrennt knisternd, mit gelblicher Flamme, süßlichem Geruch, tropfend und ohne Rückstände. Beim Beklopfen mit dem Fingernagel klingt PMMA im Vergleich zu transparentem Polystyrol wegen geringerer Härte nicht blechern.

PMMA ist jenseits von 100 °C plastisch verformbar und diese Verformung ist thermisch reversibel. Es ermöglicht eine gute spanabhebende Bearbeitung, lässt sich sehr gut mit CO2-Lasern schneiden oder gravieren und ist kratzunempfindlicher als andere Thermoplaste. Verbindungen durch Kleben oder Schweißen sind möglich.

Es ist gut einfärbbar, witterungs- und alterungsbeständig, beständig gegen Säuren, Laugen mittlerer Konzentration, Benzin und Öl. Ethanol, Aceton und Benzol greifen PMMA jedoch an. Daher dürfen Acrylglasflächen auch nicht mit Alkohol oder Lösungsmitteln gereinigt werden, da sonst Spannungsrisskorrosion entsteht. Die gute Witterungsstabilität der Methacrylatpolymere ist bedingt durch die rein aliphatische Struktur und die sterische Abschirmung der Polymerkette.

Kommen bei der Polymerisation weitere Monomere (Alkyl- oder Arylmethacrylate) zum Einsatz, ist es möglich, die Eigenschaften des Mischpolymerisats den Produkterfordernissen anzupassen. So können durch geeignete Wahl des Alkoholrests des monomeren Esters beispielsweise die Wärmeformbeständigkeit oder die Glasübergangstemperatur beeinflusst werden: Langkettige Ester wie Lauryl- und Stearylmethacrylate zeigen bereits wachsartige Polymereigenschaften; Ester mit stark verzweigtem Alkoholrest liefern Polymere mit reduzierter Lösungsviskosität. Werden bei der Copolymerisation multifunktionelle Acrylate, wie beispielsweise Ethylenglycoldimethacrylat, eingesetzt, so werden durch Quervernetzung PMMA-Copolymere erhalten, die über modifizierte Eigenschaften verfügen und sich z. B. signifikant in der Biegefestigkeit, dem Elastizitätsmodul oder der Abrasionsbeständigkeit unterscheiden und so auf die jeweiligen Verwendungszwecke angepasst werden können.

Copolymer-Kombinationen anionischer und kationischer PMMA ergeben Interpolyelektrolytkomplexe (IPEC).[13] Sie werden bevorzugt eingesetzt, Arzneistoffe zu ummanteln und sie in gut vorgegebener Weise freizusetzen.

Auch die Möglichkeiten der Formgebung sind sehr vielfältig. So kann es nicht nur als Glasersatz bei Fenstern eingesetzt werden, sondern auch für Haushaltsgegenstände, wie beispielsweise Schüsseln.

Technische Eigenschaften von PMMA:

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine für Schau- und Lehrzwecke illustrativ und sicher in PMMA eingegossene Probe des giftigen und stark ätzenden chemischen Elementes Brom, das hierzu vorher in eine Glasampulle eingeschmolzen werden musste, damit es nicht mit dem PMMA reagieren kann.
Messbecher aus PMMA (Plexiglas) mit Rissen verursacht durch Ethanol.

Aus Polymethylmethacrylat wird zum Einsatz in verschiedensten Bereichen eine Vielzahl von transparenten und nicht-transparenten Gegenständen, Waren, Bauteilen, Halbprodukten bzw. Halbzeugen gefertigt. PMMA ist z. B. unentbehrlich in der Zahnmedizin, wo es für Prothesen eingesetzt wird. Hierfür wird der Kunststoff mit verschiedenen anorganischen und organischen Pigmenten, wie z. B. Titandioxid, verschiedenen Eisenoxiden oder Azo-Pigmenten eingefärbt, so dass die typische rosa Farbe entsteht. In durchsichtiger Form wird er für Verbandsschienen eingesetzt. Der Kunststoff wird frei angemischt und härtet unter Hitze und Druck aus. Es können auch Aktivatoren zugesetzt werden, die eine Polymerisation ohne externe Druck- und Temperaturerhöhung ermöglichen.

Übersicht wichtiger Einsatzgebiete:

  • Material für Lasercutter
    • Platten aus extrudiertem Acryl eignen sich besser zum Schneiden, Platten aus gegossenem Acryl besser zum Gravieren.

Marken- und Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zerbrochene PMMA-Windschutzscheibe eines deutschen Flugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg

Bekannt wurde Polymethylmethacrylat (PMMA) unter dem Handelsnamen Plexiglas, angemeldet 1933 von Otto Röhm.[16] In Europa und Asien ist Plexiglas ein eingetragener Markenname der Röhm GmbH,[17] in den USA der Altuglas International (Arkema Gruppe).[18] Jedoch vertreibt auch Röhm unter dem Namen Acrylite sein Acrylglas in den USA.

In Europa vermarktet die Altuglas International Gruppe PMMA unter dem Namen Altuglas; die Arkema Gruppe PMMA unter dem Namen Oroglas.[19]

Polymethylmethacrylat wird umgangssprachlich auch Acrylglas oder O-Glas genannt. O-Glas war der Markenname des Materials in der DDR (für „organisches Glas“). Einziger Hersteller waren die Stickstoffwerke Piesteritz. Von „Piesteritz“ leitet sich der Handelsname Piacryl ab.

Es gibt eine Vielzahl von weiteren herstellerspezifischen Handelsnamen, darunter Biacryl, Conacryl, Deglas, Diakon, Friacryl, Hesaglas, Hesalit, Hesalitglas, Limacryl, PerClax und Vitroflex.

Recycling[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Recycling-Code für Polymethylmethacrylat und andere

Der Recycling-Code für Polymethylmethacrylat ist 07.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Andere Kunststoffe für transparente Anwendungen:

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kai Buchholz, Ralf Beil (Hrsg.): Plexiglas®. Werkstoff in Architektur und Design (anlässlich der Ausstellung Plexiglas, Werkstoff in Architektur und Design. Institut Mathildenhöhe Darmstadt, Museum Künstlerkolonie, 16. September 2007 – 6. Januar 2008. Übersetzt von RAG Service, Sprachendienst). Wienand, Köln 2007, ISBN 978-3-87909-925-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Eintrag zu POLYMETHYL METHACRYLATE in der CosIng-Datenbank der EU-Kommission, abgerufen am 13. November 2021.
  2. Wolfgang Kaiser, Kunststoffchemie für Ingenieure, 3. Auflage, Carl Hanser, München, 2011, S. 353f.
  3. a b c Wolfgang Kaiser: Kunststoffchemie für Ingenieure, 3. Auflage, Carl Hanser, München, 2011, 339ff.
  4. a b PMMA XT. Acrylglas extrudiert. (PDF; 32 kB) In: Technisches Datenblatt. Amsler & Frey AG (Schinznach-Dorf), 1. August 2016, S. 1, abgerufen am 5. April 2018.
  5. a b c Eigenschaften von Plexiglas. GS / XT. In: plexiglas.de. Evonik, abgerufen am 5. April 2018.
  6. Wie groß ist die Wärmeausdehnung bei Acryl? mit Online-Berechnung. In: pmma.dk. Induflex (Stvring, Dänemark), abgerufen am 5. April 2018.
  7. Alexander Unger: Term: Wärmeausdehnungskoeffizient. Daten aus dem Buch A. Unger: Fussboden-Atlas 2011. In: fussbodenatlas.de. Unger, abgerufen am 5. April 2018.
  8. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  9. Unternehmen – Historie. Wöhlk Contactlinsen GmbH, abgerufen am 26. März 2018.
  10. Rauch Puntigam, Theodor Volker: Acryl- und Methacrylverbindungen. In: Springer Verlag Berlin (Hrsg.): Chemie, Physik und Technologie der Kunststoffe in Einzeldarstellungen. Band 9. Springer Verlag, 1967, ISBN 978-3-642-46058-6, S. 208 ff.
  11. Refractive Index (PMMA, Acrylglas, engl.). Refractiveindex.info vom 27. Oktober 2014.
  12. Altuglas International Plexiglas UF-3 UF-4 und UF-5. Plexiglas.com vom 16. Juli 2006.
  13. Diego Gallardo, Brigitte Skalsky, Peter Kleinbudde: Characterization of combinations between anionic-cationic poly(methyl methacrylate) copolymers. In: Die Pharmazeutische Industrie, Band 73, Nr. 10, 2011, S. 1875–1884.
  14. a b Degussa Röhm Plexiglas Produktbeschreibung, Kenn-Nr. 211–1, Feb. 2003.
  15. Philipp Gellius: Musikinstrumente aus Plexiglas.Signale für die musikalische Welt, Jahrgang 1938, S. 479f. (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/smw
  16. Geschichte auf plexiglas.de
  17. Eingetragen 2006-05 als Gemeinschaftsmarke unter der Nummer 003739505
  18. Altuglas International.
  19. Oroglas.