Berliner Justiz lässt Bombe platzen

"Herstellung von Explosivstoffen": Wohnungsdurchsuchung bei Telepolis-Autor Burkhard Schröder. Computer beschlagnahmt

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Am Dienstag um 7.30 Uhr morgens klingelte es bei Burkhard Schröder an der Wohnungstür. Der 56-jährige Journalist rechnete mit ungewollter Werbung. Oder Nachbarn. Öffnen wollte er nicht: "Schließlich hatte ich bis spät in die Nacht gearbeitet." Doch die frühen Besucher gaben keine Ruhe und in das Schrillen der Klingel stimmte nun auch noch der Hund Ajax bellend ein. Bei dem Blick aus dem Türspion sah Schröder dann weder Werbeverteiler noch Nachbarn. Vor der Tür stand die Polizei. Sie kam im Auftrag des Berliner Amtsrichters Ebe Ebsen, der eine Anordnung zur Durchsuchung der Wohn- und Arbeitsräume unterschrieben hat.

"Im ersten Moment dachte ich, dass sie wegen meiner Tätigkeit für die German Privacy Foundation gekommen sind", sagt Schröder. Der Verein war Ende 2007 unter anderen von ihm gegründet worden, um "die Freiheit in der digitalen Welt" zu verteidigen, wie es im Vereinsprofil heißt. Zu diesem Zweck betreibt die Germany Privacy Foundation vier so genannte TOR-Server - was schon anderen Internetaktivisten einigen Ärger mit der Staatsmacht eingebracht hat.

Doch deswegen waren die Beamten nicht da. Der Durchsuchungsbeschluss stützte sich auf den Verdacht eines Vergehens nach den Paragraphen 40 und 52 des Waffengesetzes. Dabei haben weder Burkhard Schröder, noch seiner Frau oder gar ihr Hund Waffen gehortet. Aber der Journalist beschäftigt sich seit Jahren mit der Debatte um mutmaßliche Anleitungen zum Bombenbau im Internet. Und das wurde ihm nun zum Verhängnis. Die Polizeibeamten steuerten zielstrebig sein Arbeitszimmer an und beschlagnahmten den Arbeitscomputer. Nach gut 20 Minuten war der Spuk vorbei. Vorerst zumindest.

Es geht um Freiheitsrechte

Der Hintergrund der Durchsuchung ist erschreckend banal: Im Oktober 2003 hatte Schröder auf seiner Seite einen Text zur "Einführung in die Sprengchemie" dokumentiert. Schon seit Mitte der 1990er Jahre beschäftigt sich der Autor mit der Debatte um vermeintliche Anleitungen zum Bombenbau im Internet. In seinem 1995 erstmals erschienenen Buch Neonazis und Computernetze wies er unter anderem nach, wie diese Diskussion von Neonazi-Kreisen bereits in der Frühphase des Internets genutzt wurde, um ihre politischen Gegner zu diskreditieren. Es sei damals auch darum gegangen, "den Verfassungsschutz auf den politischen Gegner anzusetzen", heißt es zu Beginn eines 22-seitigen Kapitels zu dem Thema im Buch.

Seither wies Schröder immer wieder nach, wie die Debatte über "Anleitungen zum Bombenbau" von politisch interessierter Seite genutzt wurde, um Freiheiten im Internet und andernorts einzuschränken. Der inkriminierte Artikel – derzeit nicht mehr zugänglich - habe eindeutig in diesem Zusammenhang gestanden. "Er diente im besten Sinne der staatsbürgerlichen Aufklärung", sagt der betroffene Journalist. Auch handele es sich bei dem beanstandeten Text nicht um eine Anleitung zum Bau von Explosivstoffen, sondern um einen theoretischen Text. All das interessierte aber weder die Staatsanwaltschaft noch Richter Ebe Ebsen.

Für Burkhard Schröder geht es in der Kontroverse um ganz grundsätzliche Fragen. "Für mich als Journalisten ist völlig unklar, was ich tun darf", sagt er. Wenn eine Dokumentation schon verboten ist, dann würde dies die Spielräume von Journalisten erheblich einschränken. "Und das will ich nun wissen", fügt er an.

In solchen Verfahren hat der Telepolis-Autor Erfahrung. Schon Ende 2000 wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren (Sind Links auf Nazi-Seiten selbst strafbar?) eingeleitet, weil er rechtsextreme Seiten verlinkt hatte. Die Ermittlungen stützten sich auf das "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" und "Links mit strafrechtlich relevantem Inhalt". Nach kurzer Verhandlungszeit wurde das Verfahren eingestellt. Schröder wurde bescheinigt, dass es bei der Bewertung der Links allein auf seine Intention ankam. Und die bestand darin, über die Aktivitäten der Nazi-Szene aufzuklären.

Mangelnde Sachkenntnisse bei der Justiz

Hätte die Berliner Justiz es also besser wissen müssen? Richter Ebsen, der seit 1981 am Amtsgericht Berlin tätig ist und Anfang der 1990er Jahre durch seine (erfolglose) Jagd auf Erich Honecker kurzzeitig ins Licht der Öffentlichkeit rückte, war am Mittwoch gegenüber Telepolis zu keiner Auskunft bereit. Auch die Justizpressestelle in Berlin zeigte sich wenig auskunftsfreudig.

Dabei wirft der Fall einige Fragen auf. Etwa, warum der Beschluss, auf den sich die Durchsuchung der Journalistenwohnung stützte, auf den 22. Juli datiert. Weshalb lässt sich die Berliner Justiz knapp vier Monate Zeit, um gegen vermeintlich gefährliche "Anleitungen zum Bombenbau" vorzugehen? Verhindert haben sie die Publikation durch die Beschlagnahmung des Computers ohnehin nicht, denn die Seite ist auf einem Server gespeichert. Seltsam findet der geschädigte Journalist nicht nur das. Mehrere andere Computer und Festplatten hätten die Beamten gar nicht interessiert. Inzwischen sind sie in Sicherheit gebracht. "Es ging den Polizisten einzig und allein darum, meinen Arbeitscomputer zu beschlagnahmen." Ob Inkompetenz oder Schikane hinter der Maßnahme steht, will Schröder nun herausbekommen. "Auf keinen Fall", sagt er, "werde ich klein beigeben."

Derweil kommt von Freunden und Kollegen Hilfe. Zum Glück, so Schröder, sei er bei dem Berliner Provider Minuskel. Die Berliner IT-Firma habe sofort Verständnis gezeigt und alle Passwörter geändert. "Bei einem großen Anbieter wie der Telekom wäre man mir in dieser Weise wohl nicht entgegengekommen", glaubt der Telepolis-Autor. Ein Freund stellte ihm am Tag nach der Durchsuchung und Beschlagnahmung einen Ersatz-PC zur Verfügung:

Die vorläufige Bilanz. Ein verlorener Artikel, viel Ärger, viele offene Fragen. Und ein bisschen Genugtuung. "Denn wer auch immer meinen Computer auseinander nimmt, wird große Probleme haben", meint Schröder. Er benutze die Programme Truecrypt und GNU Privacy Guard. Zum Abschied habe er die Beamten gefragt, ob ihre IT-Leute sich mit asymmetrischen Kryptosystemen auskennen. Bislang nämlich seien so verschlüsselte Dateien und Datenträger nicht zu knacken.